Dienstag, 8. September 2020

Bergsteiger Special Magazin September 2020

Bergsteiger Special
Bergsteigerdörfer der Alpen

Im Doppelpack


2017 wurden die Chiemgauer Orte Sachrang und Schleching Bergsteigerdorf im Doppelpack. Bergsteiger-Autor Michael Pröttel hat die beiden Gemeinden besucht – über den Berg, der sie verbindet: den Geigelstein.

Wenn der Schlechinger Bürgermeister Josef Loferer seinen ehemaligen Aschauer Kollegen Peter Solnar besucht, würde er als begeisterter Berggeher wahrscheinlich am liebsten den Geigelstein überschreiten. Denn der Weg durch das zwischen Prien- und Achental gelegene Naturschutzgebiet ist wunderschön und verbindet die beiden Gemeinden seit vielen Jahren in Fragen der Forst- und Berglandwirtschaft sowie des Tourismus. 1975 gründete sich wegen einer geplanten Skischaukel die Bürgerinitiative »Rettet den Geigelstein «. Nach Jahren harter Auseinandersetzung wurde der »Blumenberg des Chiemgaus« 1991 schließlich unter Naturschutz gestellt.

Keine Schnapsidee
Bei einem Festakt zum 25. Jubiläum des Naturschutzgebietes kamen die beiden Bürgermeister auf die geografisch und inhaltlich naheliegende Idee, sich gemeinsam als zweites deutsches Bergsteigerdorf zu bewerben. »Bereits in den 90er-Jahren wurde bei uns das Ökomodel Achental gegründet, in dem man gemeinsam mit den Bauern eine klein strukturierte Landwirtschaft und einen möglichst sanften Tourismus umsetzen wollte«, erzählt Josef Loferer. 

Weitere Ziele des Ökomodells sind die Förderung eines naturverträglichen Gewerbes sowie die Nutzung erneuerbarer Energieträger aus der Region.
Dass die Geigelsteinbahn seit 2013 stillsteht, ist für das Bergsteigerdorf laut Loferer kein Nachteil, da den Wanderern gute Einkehrmöglichkeiten viel wichtiger sind: »Das sieht man beispielsweise an der Priener Hütte, die auch ohne Seilbahn von jeher sehr gut besucht wird.« Das Hauptpotential seines Bergsteigerdorfes sieht der Bürgermeister daher eben nicht in Aufstiegshilfen, sondern in den umliegenden Bergen an sich. Vor seinem Rathaus lässt Loferer den Blick über Kampenwand, Hochplatte und Hochgern schweifen und bleibt bei seinem Lieblingsberg hängen. »Die Rudersburg ist ein genauso toller wie unbekannter Aussichtsgipfel, auf dem ich beim Anstieg auf alten Jägersteigen so richtig Kraft schöpfen kann.« 

Mit dem Titel »Bergsteigerdorf« möchte Loferer die Gäste auch für den Umweltschutz sensibilisieren und hofft, »dass auch Tagestouristen ihren Proviant beim mit regionalen Produkten bestückten Dorfladen kaufen.« 
Sachrang Schleching, Tourist-Info Aschau i. Chiemgau

Auf konkrete Projekte angesprochen, sagt er: »Unser großes Ziel ist eine Ringbuslinie rund um den Geigelstein, die beide Gemeinden verbinden und nicht nur Wanderern, sondern auch Schülern und Werktätigen sehr nützen würde.« Derzeit ist eine Machbarkeitsstudie in Arbeit und auch die anderen Bürgermeister der auf der Strecke liegenden Orte stehen dem Vorschlag offen gegenüber, wie Loferers ehemaliger Amtskollege Peter Solnar in Sachrang erzählt.


Der Weg zu ihm über den Geigelstein führt nach einem schattigen Einstieg durch vitalen Bergmischwald zunächst an der urigen Haidenholzalm vorbei. Das alte Gebäude passt perfekt zum Image »echtes Bergsteigerdorf« und ist das Gegenteil einer Tiroler Touristen-Jausenstation. Es werden nur einfache Almbrotzeiten angeboten. Und auch die etwa 400 Höhenmeter weiter oben gelegene Roßalm hat inmitten blumenreicher Almwiesen ihren urigen Charme bewahrt. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sich der Naturschutz hier vor gar nicht langer Zeit ein zweites Mal durchsetzte. 2005 sollte eine Almstraße von der Oberkaseralm zur Roßalm gebaut werden. Der Bund Naturschutz verhinderte jedoch mit einer Klage die Durchführung dieses Vorhabens.

Klein aber fein
So wandert man zum Geigelstein nach wie vor über einen wunderschönen, schmalen Bergweg, der über weite, weiche Berghänge zum leicht begehbaren Schlussanstieg führt. Nach drei Stunden Gehzeit befindet man sich am jeweils höchsten Punkt der beiden Bergsteigerdorf-Gemeinden und genießt eine Aussicht, die über das Inntal bis zum Alpenhauptkamm reicht. Steil geht es dann hinab zur sommers wie winters beliebten Priener Hütte und von hier – einziger Wermutstropfen der Geigelstein-Überschreitung – auf einem längeren Abstieg über Forststraßen nach Sachrang, wo Peter Solnar schon wartet.
Als ehemals Stellvertretender Vorsitzender des Gemeindenetzwerks »Allianz in den Alpen« ist der Alt-Bürgermeister von Aschau ein Kenner in Sachen Ortsentwicklung in den Alpen und trieb die Bewerbung als Bergsteigerdorf damals voran: »Aschau legt Wert auf die Qualität, wie sie jetzt schon ist. Klein aber fein. Wir wollten authentisch bleiben und nicht irgendwas machen, damit die Gäste kommen. Die Gäste sollen kommen, weil es hier so ist, wie es ist.« Ganz wichtig waren für Solnar auch die sozialen Nebeneffekte der Bewerbung: »In den Workshops dazu haben sich viele Bürger erst richtig kennengelernt. Man hat sich zusammengefunden und gefragt: Wer sind wir und wo wollen wir hin?« Im Rückblick lässt sich heute sagen: Die Richtung stimmte und stimmt noch immer. In beiden Gemeinden.

Sachrang (Ortsteil der Gemeinde Aschau)
·       Lage: im Priental kurz vor der österreichischen Grenze zwischen Spitzstein und Geigelstein
·       Höhe: 738 m
·       Einwohner: 600
·       Anreise: Mit der Bahn über Prien am Chiemsee nach Aschau im Chiemgau. Von dort weiter mit der RVO-Buslinie 9502 nach Sachrang
·       Wichtige Gipfel: Breitenstein (1661 m), Geigelstein (1808 m), Spitzstein (1596 m), Zinnenberg (1565 m)
·       Hütten: Priener Hütte (1411 m), Spitzsteinhaus (1252 m)

Schleching
·       Lage: im Tal der Tiroler Ache auf der Südseite von Kampenwand und Hochplatte
·       Höhe: 569 m
·       Einwohner: 2000
·       Anreise: Mit der Bahn nach Prien am Chiemsee oder Übersee und von dort weiter mit der RVO-Buslinie 9505 oder 9509 nach Schleching
·       Wichtige Gipfel: Geigelstein (1808 m) , Hochplatte (1586 m), Kampenwand (1669 m)
·       Hütten: Priener Hütte (1410 m), Spitzsteinhaus (1252 m)



Das Bergsteiger Special wird ab 12. September 2020 im Handel angeboten.
Weitere Informationen unter: www.Bergsteiger.de