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Burggraben
der Wogemannsburg in Westerhever © NTS 2020 |
Die Wogemänner von
Eiderstedt
Der Weg in den
Untergang. An der Küste der Nordsee herrscht am 16. Januar des Jahres
1362 tiefster Winter. Auch an diesem
Sonntag kommt die Dunkelheit früh und die Katastrophe hat sich längst
angebahnt. Ein Orkan drückt das Wasser an die Kante und lässt die Flut nicht
mehr ablaufen, Wellenberge türmen sich über Wellenberge. Die Balken der Häuser
ächzen unter dem Druck des Windes und die Deiche unter dem des Wassers. Es ist
unheimlich, die Tiere längst unruhig. Sonne und Mond stehen ungünstig, dazu der
tagelange Wind, der Orkan aus West mit dem Wasser. Ob die Menschen ahnen, was
ihnen bevorsteht?
Sturmfluten kennen sie und die Leute leben auf Warften,
aufgeworfenen Wohnhügeln, auf denen sie Land Unter notfalls aussitzen. Aber das
hier? Am kommenden Vormittag, der Tag sieht schon morgens aus, als ob er längst
zu Ende wäre, läuft bereits das Wasser über die Deiche und das Hochwasser kommt
erst noch. Immer mehr Wasser läuft über die Deiche, nach und nach sacken sie
zusammen; die Flut – sie kennt kein Halten mehr. So oder ähnlich wird es
gewesen sein, das Weltenende.
Bald branden die Wellen an die Häuserwände und fressen an
der Warft. Wasser im Land und das bis zum Horizont. Und ein Ende ist nicht in
Sicht: Weder flaut der Orkan ab, noch läuft das Wasser ab und die nächste Flut
ist mit Jähzorn längst auf dem Weg. Das meiste Vieh wird längst ertrunken sein,
und wer sich auf sein Hausdach gerettet hat, geht mit diesem unter. Wohnstatt
um Wohnstatt bricht zusammen, verschwindet in tobender Flut. In einem Land, das
das ihre war, abgerungen vom Meer, und das sie doch so gut versorgt hat. Das
doch Wohlstand gebracht hat; den Bauern, den Händlern und Handwerkern, den
Herren gutes Geld. Als die kommenden Tage heranbrechen, das Wasser ist noch
lange nicht abgelaufen und wird vermutlich wegen des Salzes den Boden auf
Jahrzehnte unbrauchbar gemacht haben, ist die Welt eine andere.
Was vom Leben
übrig blieb. Diese
Erste Große
Mandränke, die mörderische Jahrtausendflut, hat die Küstenlinie
neugeschrieben. Inseln wurden zerrissen, andere gingen gänzlich unter, ganze
Landstriche sind zerstört. Komplette Kirchspiele (Verwaltungsgemeinden) von der
Landkarte und aus den Steuerbüchern getilgt, Familien, Siedlungen,
Gemeinschaften ausgelöscht. Diese Katastrophe hat viele Tausend Menschen das
Leben gekostet. Eine Lebensgrundlage gibt es für die Viehzüchter und Bauern
erst einmal so gut wie keine mehr. Als der erste Tag danach anbrach, war die
Erde wüst und leer. Und was über der See schwebte, war dieser Tage, Wochen,
Monate und Jahre bisweilen ein sehr unguter Geist. Denn wer überleben wollte,
musste sich was holen. Und sei es mit Gewalt…
Arme Ritter.
Nach der
Pest von 1350 und der
verheerenden
Flut von 1362 musste
sich eine angebliche „Ritter“-Familie vom heutigen
Nordstrand, nach ihrer Vertreibung der nördlich von Eiderstedt gelegenen
damaligen Inselwelt, eine neue Bleibe suchen – diese Leute sollen den Namen
Waage oder Woge getragen haben. Sie setzten sich mit Gewalt auf Eiderstedt fest;
es heißt im
heutigen Westerhever und
dort bauten sie sich ihre
Burganlage.
Diese Sippe war eine Bedrohung für die Seefahrer und die Bevölkerung, da sie
raubend und mordend über Land und Meer zogen. Der Sage nach sollen die
Wogemänner auch andere gewesen sein.
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Stein
an der Einfahrt zur Wogemannsburg © NTS 2020
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Die
Zusammenrottung.
Nun verbreiten Raubzüge
Angst und Schrecken. Heimatlose Bauern und Fischer ohne Zukunft und ohne Mittel
tun sich zusammen. Zuerst, um sich zurückzuholen, was sie verloren haben. Bald,
um sich vielleicht ein bisschen mehr zu holen. Die Banden überfallen Gehöfte,
das bisschen, was noch übrig war oder neu aufgebaut wurde und wer zur See
fahren konnte, der enterte wohl manches Schiff. Und sie begingen weitere
Verbrechen, raubten Mädchen und Frauen. Das sagt die Sage, so soll es auf Eiderstedt gewesen sein. Heute eine
Halbinsel, damals noch nicht zusammenhängend, getrennt von Sümpfen und
Wasserläufen. Acht Jahre nach der Flut litten die rechtschaffenen Menschen noch
immer und nun wohl am schlimmsten unter den mörderischen Banden, die man Wogemänner nannte. Im Jahre 1370 war
das Maß voll. Im Auftrag des Herzogs und unter der Führung des Stallers (dem
Amtmann) Ove Hering oder nach anderen Quellen: Owe Herings, bildete sich eine
Bürgerwehr und ging zum Angriff über.
Das Ende des
Schreckens. Die Wogemänner hatten ihre Burg dort, wo heute die Kirche und
das ehemalige Pfarrhaus von Westerhever stehen, ganz im Nordwesten der heutigen
Halbinsel Eiderstedt. Herings und seine Männer zogen los als kleine Streitmacht
und schließlich stürmten sie die Burg. Geholfen sollen ihnen dabei die
geraubten Jungfrauen haben, verschleppt und gefangen gehalten in der Burg der
Bösen – sie öffneten ihren Befreiern das Tor und ließen die Zugbrücke runter.
Für die Wogemänner gab es einen kurzen Prozess: 60 von ihnen führte man an die
Prielkante und schlug ihnen mit dem Schwert den Kopf ab, warf die Leichen in
das ablaufende Wasser eines mächtigen Gezeitenlaufs, der heute Heverstrom
heißt. Und die Jungfrauen? Sie wurden vom Thing, der Zusammenkunft leitender
und maßgeblicher Leute, rehabilitiert und bekamen ihre Ehre offiziell zurück.
Die Burg der Bösen.
Natürlich haben die tapferen Eiderstedter Bauern die Burg der Wogemänner
geschliffen und zerstört, sie Stück für Stück und Stein für Stein abgetragen.
Baumaterial konnte man schließlich immer gebrauchen. Und sie bauten eine neue
Kirche; eine Wehrkirche, wo sie Schutz fanden vor Flut und Verbrechern, an fast
dieser Stelle – St. Stephanus zu Westerhever und für die Setzung des Turmes und
die Fundamente des Kirchenschiffs nahmen sie Steine aus der Wogemannsburg.
Dort, wo die Burg gestanden haben soll, wurde drei Jahrhunderte später ein
Haubarg errichtet, ein Bauernhof, und schließlich stand das Pfarrhaus drauf,
heute ist es privat. Natürlich erinnert an diese Geschichte nicht mehr als die
Sage und von der Burg der Bösen gibt es rein gar nichts zu sehen. Die
Legende aber, die erzählen sich die
Leute auf Eiderstedt von Jahr zu Jahr, von Generation zu Generation. Vielleicht
ist ja doch was dran an der Geschichte der Wogemänner, vielleicht sogar an
ihrem Goldschatz. Denn auch der ist bis heute nicht gefunden.
Unterwegs im Land
der Legende. Wenn man sagt, dass am Ende eines Regenbogens ein Schatz
verborgen ist, dann stehen die Chancen, auch einen zu finden, hier und heute
gut. Über die gelbgoldenen Rietflächen und über den Binnensee bei
Everschopsiel spannen gleich zwei
prächtige Regenbögen und es ist ein Bild wie gemalt. Östlich dieser Stelle ging
1362 Land unter und vermutlich bildete sich die, heute nicht mehr existente
Nordereider. Der erste Herbststurm hat die schweren Wolken über Land gefegt und
gen Osten fortgeschoben. Eine späte Nachmittagssonne setzt den Norden der
Halbinsel Eiderstedt in Szene – einzelne Höfe unter stattlichen Eschen, Weiden
mit knorrigen und windverbogenen Bäumen drauf - und warmes Licht flutet übers
Land, Regenschleppen fallen aus tief hängenden Wolken wie seltsame Gardinen.
Hier oben am Siel ist das Land zu Ende, hinter dem Deich liegt das Watt, noch
weiter im Norden glitzert das Wasser des Heverstroms. Davor eine einsame, nun
schon verlassene Badestelle, die von den Freuden des vergangenen Sommers
kündet.
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Kirchturm
St. Stephanus in Westerhever © NTS 2020 |
Auf den Wegen der
Wogemänner.
Es ist ruhig geworden und Zeit, dem Wind zuzuhören und ihn sich
um die Nase pusten zulassen. Noch ist das Wetter angenehm genug, um
auf das Rad zu steigen und dorthin zu
fahren, wo einst vielleicht die Wogemänner hausten. Auf nach Westen und an den
Büschen prangen Beeren, sommersatt und saftig, an den Bäumen erstes buntes
Laub. Auch sie erzählen vom Herbst, wenn die Stürme wieder mächtiger übers Land
fegen und die Fluten an die Deiche drücken. Künden von der Zeit, als Legenden
vielleicht lebendig waren, bringen sie nahe. Es ist eine einsame Gegend und die
Türme der Kirchen in den Dörfern weisen den Weg, Eiderstedt ist auch das
Land der Kirchen und Kirchtürme. Denn
was die Menschen einst dem Meer abrangen – und in Fluten oft genug wieder
verloren – war bei aller Unbill schon vor langer Zeit ein reiches Land. Man
möge sich Muße nehmen und in die Kirchen schauen, sich die Bilder ansehen, die
auch von dieser Zeit erzählen. Dann und auf den weltenfernen Wegen – unter
Bäumen oder weitem Himmel –, fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt.
Die Suche nach dem
Schatz. Deiche sind Geschichtslinien. Immer wieder wird man alte
Deichlinien queren, die scheinbar verloren und ohne Sinn mitten in der
Landschaft stehen. Oder oben auf ihnen radeln wie westlich von Osterhever. Auf
dem alten Deich scheint man über die Landschaft zu fliegen, so weit weg von
allem, so losgelöst, so obendrüber. Hier auf der Grenze zwischen
Altaugustenkoog und
Neu-Augustenkoog und man ahnt, warum
Deiche auch im Hinterland stehen – sie zeigen an, wo einst das Land aufhörte.
Hier war es einst zu Ende, das Land. Dies war die Grenze, die es zu verteidigen
galt. Und je niedriger sie sind, bisweilen: Je enger um die Dörfer sie gezogen
sind, desto älter sind sie. Einst war Eiderstedt nicht wie heute eine durchgehende
Halbinsel,
Utholm und
Evershop wurden 1362 zu Inseln und die
Nordereider trennte nach ihrer Entstehung diese Gegend vom Festland. Dort zogen
sie einst vielleicht über Land, schritten durch Sümpfe zwischen den Warften,
den Inseln oder stakten Boote durch Wasserläufe, die das Land noch heute
durchziehen. Und suchten neues Glück nach katastrophaler Flut, die in dieser
Urgewalt noch mal im 17. Jahrhundert zuschlug; die
Zweite Große Mandränke. Wer den Goldschatz der Wogemänner finden
will, der muss ihn hier suchen, auf dem alten Eiderstedter Land.
Am Ende des
Regenbogens. Im Westen baut sich eine dunkle Wolkenwand auf, umso kräftiger
strahlt das Laub der Silberpappeln, umso knalliger leuchten die Beeren. Die
flirrenden Blätter geben der Szene irgendwo kurz vor Westerhever etwas
unpassend Heiteres, etwas Verspieltes in diesem herben Land am Meer am Vorabend
eines Sturmtiefs. Denn längst braut sich wieder was zusammen, da draußen auf
See. Man spürt sie längst deutlich, die
Nordsee,
man fühlt das Meer. Und auch deshalb ist man der Legende um die Wogemänner
und ihrer stürmischen Zeit ein Stück nähergekommen. Denn nun radelt man wieder
auf einen Hügel, das ist eine Warft, und man ist in Westerhever angekommen.
Sicher, man wird genauer hinschauen; das alte Pfarrhaus, die Kirche, der alte
Platz der sagenhaften Burg gegenüber des Gasthauses. Dort irgendwo. Der
Regenbogen aber, der wurde zuerst unscharf und dann löste er sich auf.
Mehr Geschichte und weitere Informationen über die
Landschaft und Bevölkerung von Eiderstedt: in
St. Peter-Ording »Museum Landschaft Eiderstedt«
www.museum-landschaft-eiderstedt.de
und in
Husum »Nordfriesland Museum Nissenhaus«
www.museumsverbund-nordfriesland.de.
Tipps und Anregungen rund um einen Nordsee-Herbst- und
Winterurlaub finden Sie unter:
www.nordseetourismus.de